„Krisen sind Ausdruck mangelnder Bewegungsfähigkeit“- ein Interview

Bodo Antonic wird häufig dann gerufen, wenn die Luft dünn wird. Denn er ist Manager auf Zeit und darauf spezialisiert, Unternehmen aus der Krise zu bringen. Für eines seiner letzten Mandate hat ihn die Dachorganisation Österreichisches Interim Management (DÖIM) zum Interimmanager des Jahres 2023 gewählt. Im Interview erzählt der Hobbytaucher, was das Erkunden der Unterwasserwelt mit Krisenmanagement in Unternehmen gemeinsam hat.

Unser Interim Manager Herr Antonic wurde zu seinen Erfahrungen aus über 20 Jahren Interim Management interviewt. Er gibt dabei viel Einsichten und Expertise, die er aus zahlreichen Interim Projekten gesammelt hat.

Hier der Artikel:

Herr Antonic, ist Interimmanagement für Sie eher Abenteuer oder Handwerk?
Es ist beides. Einerseits ist es Handwerk, weil es typische Abläufe und Aufgaben gibt, die sich wiederholen, wie das Prüfen von Zahlen. Andererseits ist es immer wieder ein Abenteuer. Denn wenn ich in ein Unternehmen komme, kenne ich weder den Kontext noch die Führungskräfte und Mitarbeitenden dieser Organisation. Ich weiß meist nur, dass es dem Unternehmen nicht gut geht. Bildlich gesprochen bin ich wie der Unfallarzt, der zunächst mal dem Patienten die Wunden versorgt oder die Blutdruckmanschette anlegt, ohne zu wissen, wie sich der Unfall ereignet hat und welche
Vorerkrankungen bestehen.

Gibt es typische Gründe, warum Unternehmen in eine Schieflage geraten?
Hier müssen wir differenzieren: Bis zu einer gewissen Unternehmensgröße haben wir oft eine familiengeführte Situation, sodass sich private und firmenbezogene Themen vermischen. Meine Vorfahren waren beispielsweise über Generationen Holzbauern in Kärnten. Der Betrieb, das Holz, die Familie – das war für sie eins. Und wenn in einem Bereich irgendetwas nicht passt, dann infiziert das eine das andere und umgekehrt. In Großkonzernen gibt es diese Vermischung mit dem Privaten nicht. Hier liegen die Ursachen für Schieflagen in den allermeisten Fällen in der Führung. Wenn Unternehmen nicht mehr innovativ sind, Kunden verlieren, an Liquidität einbüßen, liegt das meist an Führungsfehlern, die Auswirkungen auf das ganze Unternehmen haben.

An welchen Warnsignalen lassen sich Krisen erkennen?
Ich glaube sehr stark daran, dass eine gesunde soziale Organisation in Bewegung ist. Sie sehen das bei biologischen Systemen, die dann gesund bleiben, wenn sie in einem leichten Ungleichgewicht sind und sich immer wieder umorganisieren müssen, wie Pflanzen, die wachsen. Wenn eine Organisation aber statisch wird, dann ist diese Stagnation schon ein erster Indikator für eine potenzielle Krise. Das ist wie bei Kindern, die lustlos und apathisch werden, bevor sie erste Krankheitssymptome in Form von Fieber zeigen. Wenn sich eine Organisation nicht mehr hinterfragt, lernunwillig wird, Neugierde verliert, dann sollten die Alarmglocken klingeln.

Welche Rolle spielt People Management in der Krisenbewältigung?
People Management ist zentral. Denn Unternehmen sind nicht zuletzt soziale Organisationen, die in der Krise Vertrauen verlieren – bei Kunden, Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern. Führung hat in der Krise daher zwei wichtige Aufgaben: Sie muss einerseits alles tun, um die Liquidität zu erhalten. Das ist wie beim Notarzt, der zuerst den Blutverlust des Patienten stoppt. Die zweite wichtige Aufgabe ist, den Vertrauensverlust zu stoppen, das betrifft die soziale Währung. Alles, was ich als Führungskraft in einer Krise mache, muss auf diese beiden Aspekte einzahlen.

Wie lässt sich Vertrauen aufbauen?
Zum einen mit Konsistenz und Verbindlichkeit: Tue, was du redest. Versprich nicht, was du nicht halten kannst. In der Krise muss die Führung der Fels in der Brandung sein, an dem die anderen ihr Lebensboot befestigen können. Darüber hinaus ist es wichtig, klar zu sagen, was getan werden muss – in einer knappen und verbenreichen Sprache: „Christa, du machst dieses, Hans, du kümmerst dich um jenes.“ Dabei ist es wichtig, den Kontext zu erklären, damit die Leute das nicht als unhöflich missverstehen. Wenn ich erkläre, dass das Haus brennt, wird aber den meisten schnell klar, dass wir uns nicht mit langen Erklärungen und Abstimmungen aufhalten können.

Sie sind begeisterter Taucher. Was lässt sich beim Tauchen für die Führung in Krisensituationen lernen?
Recht viel. Unter Wasser kann ich beispielsweise nicht reden, muss aber kommunizieren. Deshalb nutze ich Handzeichen. Auch in Unternehmenskrisen ist die Kommunikation wichtig und muss wie die Handzeichen beim Tauchen klar und eindeutig sein. Ich muss mich in Krisen außerdem als Führungskraft positionieren: Wer bin ich? Was ist meine Rolle? Wenn ich einen Tauchgang leite, stelle ich mich zunächst vor und erkläre, was ich vorhabe und wie die Abläufe sind. Ich definiere den Kontext und übe auch das Verhalten in der Krise. Wie sollen sich die anderen beispielsweise verhalten, wenn sie unter Wasser ein Problem haben, vielleicht Panik  bekommen? Das zu klären, ist beim Tauchen normal, wird aber in Unternehmen selten gemacht. Beim Tauchen müssen wir außerdem Muster schnell erkennen und darauf mit klaren Handlungsabläufen reagieren. In Unternehmen beobachtet man oft das Gegenteil: Bis sie bereit sind, eine Krise als solche zu benennen, brennt schon die Hütte. Daher ist meine Hauptbotschaft: Bereitet euch auf Krisen vor.

Wie geht das konkret?
Die meisten Manager betrachten „Umsatz“ oder „Gewinn“ als wichtigste Größen zum Steuern von Unternehmen. Aber wir sind gut beraten, wachsam zu bleiben und mögliche Krisen im Blick zu behalten. Denken Sie an das Schiff, das sich im Suezkanal quer gestellt und damit tagelang die halbe Weltwirtschaft beeinflusst hat. Wenn ich Business Continuity, also das Fortsetzen des Geschäfts, als relevante Größe erkenne, sollte ich zumindest jene Risiken im Blick behalten, die meine Überlebensfähigkeit als Unternehmen gefährden könnten. Eine Konsequenz kann dann sein, nicht nur auf einen Lieferanten in China zu setzen, sondern eine gute Alternative in Deutschland zu haben. Das wird in Unternehmen gerne vergessen.

Welche Kennzahlen spielen dabei eine Rolle?
Ich bin nicht so der Kennzahlenmensch. Natürlich gibt es Zahlen, die man im Risikomanagement heranziehen kann. Aber viel wichtiger ist, über mögliche Risiken zu sprechen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln und Business Continuity immer wieder mitzudenken.

Was können Führung und HR-Management dazu beitragen, Krisen vorzubeugen?
Ich verstehe Krisen, wie schon erwähnt, als Ausdruck mangelnder Bewegungsfähigkeit. Dem können Führungskräfte und HR vorbeugen, indem sie die richtigen Leute in das Unternehmen holen und dazu anregen, Dinge laufend zu hinterfragen. Warum ist das so? Wie funktioniert das? Können wir das besser machen? Unternehmen neigen – natürlich vor allem in regulierten Branchen – zum Gegenteil. Dabei ist es eine zentrale Aufgabe von Führung, Bürokratie so weit
wie möglich abzubauen. Alles, was nicht auf die Überlebensfähigkeit und den Gewinn der Kunden und meiner Organisation einzahlt, ist überflüssig – es sei denn, es handelt sich um gesetzliche Vorgaben. Wenn dieser Ballast weg ist, merken die Leute plötzlich, dass sie sich nicht mehr verstecken können hinter überflüssigen Spielregeln, sondern Luft
und Zeit haben, ihren Job richtig gut zu machen.

Dieser Artikel stammt aus der Fachzeitschrift personal manager
Ausgabe 5/23 mit dem Schwerpunktthema: Leadership, Interview: Bettina Geuenich

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